Preise WERTschätzen lernen: Marketing für faire und nachhaltige Produkte
„Klar ist es mir wichtig, dass die Menschen, die mein neues T-Shirt hergestellt haben, fair entlohnt werden! Aber 30 € für ein T-Shirt ist mir wirklich zu teuer!”. Ich gebe zu, vor einigen Jahren habe ich noch ähnlich gedacht. Irgendwie war es mir schon bewusst, dass das 4,99 € T-Shirt aus dem Sale wohl kaum aus fairen Bedingungen kommen kann. Doch in dem Moment des Kaufs wurden diese Gedanken plötzlich ganz still. Das Verlangen nach einem neuen Teil war größer. Und die Glücksgefühle nach dem Kauf waren es wert. Aber mal ehrlich – diese Glücksgefühle sind nicht von langer Dauer. Spätestens wenn das neue Shirt auf dem Stapel im Schrank immer weiter nach unten wandert, ist es schnell vergessen. Fällt unter den x anderen ja eh kaum auf. Und so ideal gepasst hat es eigentlich auch nicht. Warum also kaufen wir ständig neu? Sicher nicht, weil wir das 10. schwarze Oberteil im Schrank unbedingt brauchen! Was verleitet uns zum (blinden) Konsumieren? Warum sind uns 30 € für ein T-Shirt zu teuer, 3 T-Shirts für 10 € brauchen wir aber unbedingt? Wann haben wir eigentlich verlernt, den wahren Wert von Dingen zu sehen, sondern nur einen vermeintlich teuren Preis? Und die Frage aller Fragen für nachhaltige Marketing-Agenturen, faire Modelabels oder ökologische Produzenten: Wie schaffe ich Bewusstsein für den wahren Wert von Konsumgütern und erreiche die Zielgruppe, die meine Produkte WERTschätzt? In den Einkaufswagen legen Um zu verstehen, warum unsere Kund*innen sich überhaupt für oder gegen unsere Produkte entscheiden, werfen wir einen Blick auf die Gründe für Kaufentscheidungen. Denn während sich Menschen ursprünglich aus einer dringenden Notwendigkeit heraus – zum Stillen eines akuten Bedürfnisses wie Hunger oder Wärme – Dinge konsumierten, ist heute diese Notwendigkeit nebensächlich geworden. Aber warum geben wir dann Geld für etwas aus, das wir gar nicht wirklich brauchen? Was verleitet uns zum Kauf von Dingen, die wir nicht brauchen? Angebot und Nachfrage Dass Angebot und Nachfrage den Markt bestimmt, hat wohl jeder schon einmal gehört. Die Formel ist einfach: Ein sinkender Preis führt zu steigender Nachfrage. Doch man könnte meinen, dass dieses Steigen endlich ist. Aber häufig zeigt sich das Gegenteil: Je extremer der Preis sinkt, desto extremer steigt auch die Nachfrage. Und diese Relation ist ganz unabhängig von unserem tatsächlichen Bedarf. Um bei unserem T-Shirt-Beispiel zu bleiben: Bekomme ich nun T-Shirts für unter 5 €, kann ich mir plötzlich für jede erdenkliche Gelegenheit ein neues T-Shirt kaufen. Im Urlaub passt es für den Heimflug nicht mehr in den Koffer? Dann lass ich es einfach im Hotel zurück! Schließlich kann ich mir zu Hause jederzeit dafür fünf neue kaufen. Dass wir eine Menge besitzen, die den tatsächlichen Bedarf übersteigt, zeigen auch diverse Studien: Ein Drittel der Erwachsenen haben mittlerweile zwischen 100 und 300 Kleidungsstücke im Schrank (Greenpeace, 2015). Aber es geht noch weiter: Durch die Möglichkeit, unglaublich günstig herstellen zu können, haben sich ganz neue Formen des Angebots entwickelt. Durch die extrem günstigen Preise entsteht eine Nachfrage nach Dingen, für die vorher keinerlei Bedarf bestand. Ein pinkes T-Shirt für den Junggesellinnenabschied, das ich danach nie mehr trage oder eine Kaffeetasse mit lustiger Aufschrift für das Jubiläum eines Kollegen: Das niederschwellige Angebot erschafft eine ganz neue Form des Konsums (vgl. Tillessen, 2020). Ja, ich will! Der tatsächliche Nutzen eines Produkts ist nicht mehr länger maßgeblich für seinen Erfolg. “Die Frage nach dem Brauchen ist nebensächlich geworden. Das bloße Wollen hat sich zum Motor unserer Wirtschaft entwickelt.” (Tillessen, 2020) Und die Befriedigung dieses “Wollens” löst ein wohliges Glücksgefühl aus. Mal ehrlich: Wer empfindet beim Kauf von Müllbeuteln oder Klopapier schon echtes Glück? Was uns wirklich glücklich macht, sind die Dinge, die über das Brauchen hinausgehen. Ob die Jeans im Schaufenster oder die Bodylotion, die jetzt jeder auf Instagram verwendet: Dort, wo der Nutzen aufhört und der Luxus beginnt, geht der Spaß erst richtig los. Der Prozess des Einkaufens und die Ursachen, die in eine Kaufentscheidung münden, haben sich also grundlegend gewandelt. Während unsere Großeltern ausschließlich zum Stillen grundlegender Bedürfnisse neue Schuhe anschafften, gehört das Shoppen von neuen trendigen Sneakern heute zum ganz selbstverständlichen Wohlfühlprogramm. Sich selbst etwas gönnen: Unverzichtbarer Teil der Selfcare! Macht Kaufen wirklich glücklich? #FOMO Neben dem Glücksgefühl, dem sich etwas “Gönnen”, wurde mit der Digitalisierung noch ein weiterer Konsummotor in Gang geschmissen: Bestätigung durch Anerkennung und gesellschaftliche Teilhabe. Schließlich ist durch die zunehmend digitale Welt die soziale Bestätigung nur einen Klick entfernt. Und die brauchen wir schon fast wie die Luft zum Atmen. Bevor das neue T-Shirt also in der Versenkung des Schrankes verschwindet, schießen wir noch schnell ein Foto und teilen es mit der Welt. Schon rieseln Likes und Herzchen herein. Das fühlt sich gut an! Dafür hat sich der 20. Pullover doch wirklich gelohnt! Vorsicht, Suchtgefahr! Aber warum macht uns Kaufen so glücklich? Wie so oft passiert vieles im Kopf. Brian Knutson hat mit einem Experiment gezeigt, was in unserem Gehirn passiert, wenn wir vor einer Kaufentscheidung stehen. Den Probant*innen wurden Bilder von Konsumgütern mit und ohne Preis vorgelegt. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass das Belohnungszentrum aktiviert wird, wenn wir den Artikel sehen. Wird dann allerdings der Preis eingeblendet, wird auch die sogenannte Insula aktiviert, die sich sonst bei körperlichem Schmerz einschaltet. Das Fazit des Experiments: Wir entscheiden uns dann für den Kauf, wenn die Belohnung größer ist als der Schmerz. Das T-Shirt für 4,99 € lässt uns also ein angenehmes Gefühl der Belohnung spüren, während eines für 29,99 € schon eher gemischte Gefühle hinterlässt.Das Problem: Das Glücksgefühl des Kaufs hält nicht lange an. Denn das Besitzen an sich macht uns bei Weitem nicht so glücklich wie der Moment des Erwerbens. Denn die Zeit, den neuen Gegenstand auch wirklich zu nutzen oder zu tragen, die haben wir eigentlich gar nicht. Ein neues Glücksgefühl muss her: Und so ist der nächste Kauf nur einen Klick entfernt. Unsere Konsumentscheidungen fallen mit geringerer Wahrscheinlichkeit zugunsten des tatsächlichen Werts aus: T-Shirt für 4,99 € – Jippie, die Freude über das Schnäppchen ist groß. Der Preis ist nebensächlich, der Nutzen auch: Kaufen! T-Shirt für 29,99 € – Hm, so richtig
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